Frieden auf dem Weg
Der internationalen Bodensee Friedensweg ist in der Tradition der Ostermärsche nicht nur eine Demonstration gegen Aufrüstung, Krieg und Ausbeutung. Er steht auch für eine länderübergreifende Zusammenarbeit und Zusammenkunft für ein Anliegen: den Frieden.
Die wissenschaftliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung um das Thema Frieden ist in Europa und den USA seit den 80er Jahren vielfältiger geworden. Nicht nur hat der Aspekt der ‚strukturellen Gewalt‘ Eingang in das Friedensverständnis gefunden, auch die systemische und ganzheitliche Weltsicht hat das ‚westliche‘ Friedensverständnis grundlegend verändert. Die in naturnahen Kulturen verbreitetere Erkenntnis, dass Frieden immer nur in Beziehung gedacht und gelebt werden kann und dass eine friedliche Transformation immer auch eine veränderte Haltung in den Beziehungen zu uns selbst und zueinander geschieht, macht sich breit. In einer systemischen Weltsicht kann es ein externalisiertes Objekt der Transformation nicht geben. Die Forderung, die Anderen müssen sich nach unseren Vorstellungen verändern, damit wir endlich Frieden haben, offenbart immer mehr ihren widersprüchlichen Charakter. Dabei stellt sich die Frage, wer denn für wen definieren kann, was Friede bedeutet und mit welchen Mitteln dieser Friede durchgesetzt werden soll. Wir können nicht die Anderen oder das Andere verändern, wir können uns und die Beziehung zueinander verändern und damit Veränderung in unserer Mitwelt bewirken – so die die systemische Antwort auf die Frage, wo eine Friedensarbeit ansetzen kann, die wirklich kooperativ wirken möchte. In Beziehungen sind wir mächtig, in der Trennung sind wir ohnmächtig.
Der Bodensee Friedensweg 2018 spiegelte eine Vielfalt an Zugängen zum Thema Frieden wieder: Er bot Ausdruck für die gemeinsame Betroffenheit und Solidarität mit Menschen auf der ganzen Welt, die an den Folgen von Krieg und Gewalt leiden, einen Versuch, ein gemeinsames Verständnis von friedlichen wirtschaftlichen und politischen Ordnungen zu artikulieren und – die Möglichkeit eine bestimmte Form der friedlichen und konfliktfähigen Beziehungshaftigkeit vorzustellen und zu praktizieren.
Diesen letzten Aspekt und auch die Resonanz auf die beim Friedensweg veranstalteten Dialoggruppen möchte ich in diesem Artikel beschreiben.
Der Dialog
Der Dialog ist eine Gesprächsmethode, die von David Bohm geprägt wurde und dazu dient, verschiedene Wahrheiten kooperativ zusammenzuführen. Der dialogische Austausch fördert kreatives Denken, bewusstes Sprechen und offenes Zuhören. Im Zentrum steht ein Thema, zu dem sich die Teilnehmenden äußern. Dies kann ein Konfliktthema sein oder eine wesentliche Frage, die eine Gruppe betrifft und bewegt. Wesentlich ist dabei eine innere Haltung: Man/frau spricht von Herzen, hört zu, hat Respekt vor der Meinung der Anderen und verändert vielleicht eigene Meinungen. Die TeilnehmerInnen sitzen im Kreis und regeln den Gesprächsablauf durch ein Symbol in der Hand der jeweils Sprechenden. Das Gespräch entwickelt sich aus der Mitte heraus, Fragen und die Verlangsamung des Gesprächs sind dabei wesentlich. Während einE DialogbegleiterIn die Spielregeln einbringen kann, liegt es an allen Personen im Kreis, auf Augenhöhe den Verlauf und Inhalt des Austausches zu gestalten. Das, was aus dem Prozess entsteht ist naturgemäß unvorhersehbar, da es sich aus den Beziehungen heraus entwickelt. Im Unterschied zur Diskussion, die leicht zu einem Gegeneinander der Meinungen wird, unterliegt dem Dialog ein grundsätzlicher Vertrauensvorschuss, eine Wertschätzung dafür, dass jede Perspektiven der Anwesenden einen wichtigen Beitrag für das gemeinsame Ganze darstellen kann.
Fünf Dialoggruppen als Raum für Friedenskultur
Die Themen für die fünf Dialoggruppen, zu denen im Anschluss an den gemeinsamen Marsch am Ostermontag in Bregenz eingeladen wurde, waren von der Spurgruppe basisdemokratisch ausgewählt worden. Dabei bezogen wir uns auf das Motto GELD.MACHT.KRIEG – DIALOG.MACHT.FRIEDEN und auf aktuelle und langfristig wichtige Aspekte von Frieden und Konflikt aus europäischer Perspektive: „Was ist Friedenskultur?“, „Gutes Leben für Alle“, „Gewalt gegen Frauen“, „Pazifismus ohne Wenn und Aber“ und „Was ist unsere Macht?“
Ich war Teil des Dialogs „Gewalt gegen Frauen“. In einer bunten Gruppe von etwa 20 Frauen und Männer verschiedener religiöser, politischer und nationaler Hintergründe wirkten unterschiedliche Zugängen zum Thema geschlechtsspezifischer Gewalt zusammen. Der Austauschraum wurde sehr rege genutzt, es gab wenige Momente des Schweigens und eine große Dankbarkeit darüber, dass sowohl das Thema als auch diese Form der Auseinandersetzung gewählt wurde. Die Betroffenheit im Angesicht der Gewalt, die an Frauen auf der ganzen Welt ausgeübt wird, offenbarte sich besonders am Anfang, auch eine Auseinandersetzung mit Unterdrückung von Männern und Frauen, die sich in der Gewalt an Frauen und an der Natur entlädt, fand statt. Verbindend wirkte dabei die Ausrichtung zum Wohlergehen aller Menschen, anstelle der Umkehr unterdrückerischer Machtverhältnisse, während leider viele unterdrückerischen Strukturen von Männern dominiert werden: etwa hinsichtlich der „Macht der Bilder“ (Filme und Werbung) und hinsichtlich der Autorität in religiösen Institutionen. Autorität wurde im Kreis aber nicht nur als eine gewaltvolle Kraft betrachtet, sondern auch als eine wertvolle Qualität der Verantwortlichkeit über das eigene Leben, den eigenen Körper und die eigenen Grenzen. Oder als eine von Weiblichkeit geprägte Autorität, die der Entfaltung der Potentiale der Mitmenschen dient. Zum Schluss wurde Freude ausgedrückt, dass diese Form des Austausches (mit dem Kreis als weiblichem Symbol) mit fremden Männern und Frauen bei diesem Anlass gelebt werden konnte: „es gibt Hoffnung, dass gerade junge Frauen neue Wege finden, sich in traditionell männlich besetzten Kreisen einzubringen ohne ihre Weiblichkeit und ihre weiblichen Fähigkeiten zu verleugnen. In kurzer Zeit war im Dialogkreis eine Vertrautheit entstanden, die erstaunte. Für mich wurde auch dadurch deutlich, wie die Verletzungen, die durch Gewalt erlebt werden, zu einer Art ‚Panzer‘ führen können und es aber auch gleichzeitig wie bei Schildkröten möglich ist, sich offen und weich aus dem Panzer hervor zu strecken und sich in verbundener Unterschiedlichkeit zu begegnen um Neues wachsen zu lassen.
Was sich in den anderen vier Gruppen getan hat, habe ich in Ausschnitten aus Erzählungen erfahren. Besonders großen Andrang gab es auf den Dialogkreis zum Thema „Gutes Leben für Alle“ (70 Teilnehmende). Beim ebenfalls begehrten Dialog zu „Was ist Friedenskultur?“ wurde auch aus dem Arabischen übersetzt. Zur Erfahrung in letzter Gruppe schrieb Dr. Christian Harms, der mit Begleitung aus Überlingen angereist war: „Wir beide und alle anderen Teilnehmenden waren überaus angetan, wie der ganze Ablauf und Inhalt der von den Teilnehmern angesprochenen Punkte im Dialog über ‚Was ist Friedenskultur?‘ war! Sehr nachahmenswert, diese Dialogform und wahrlich ergiebig. Meinerseits hätte der Dialog so noch eine weitere Stunde gehen können. Ich wenigstens hätte bei diesem Thema noch so viel anbringen können. Die Abschlussrunde zeigte, wie angetan sich selbst der/die Kritischste über das Ergebnis dieser Dialogrunde aussprach: ‚Ich habe einiges gelernt‘.“
Beim voll besetzten Dialogkreis zur die Frage „Was ist unsere Macht“ zeigten sich sowohl Zweifel und Widersprüche. Sowohl das große Bedürfnis nach der Entfaltung der eigenen Wirkungsmacht trat zu Tage, als auch das Bedürfnis die Mitmenschen zu Ermächtigen. Dialogbegleiter Kuno Sohm berichtet, dass in der ersten Hälfte des Dialogs besonders die sogenannte ‚68er Generation‘ ihre Erfahrung von Ohnmacht zum Ausdruck brachten. In der Wahrnehmung der eigenen Wirkungslosigkeit spiegelte sich dabei teilweise auch eine Wahrnehmung der Trennung der Menschheit in Täter und Opfer wider: die Friedliebenden stehen in diesem Bild den Anderen, den Gewaltvollen, machtlos gegenüber. Im Laufe des Austausches sprießten jedoch immer mehr Beispiele für die eigene Wirksamkeit in Gemeinschaft mit Mensch und Natur wieder. Mitwirkende bei solidarische Landwirtschaften, und vielseitig engagierte Personen aus dem Bodenseeraum meldeten sich mit ihren Erfahrungen zu Wort. Michael Striebel, Mitorganisator des Bodensee Friedenswegs, sprach etwa vom sich-gemeinsam-in-die-richtige-Richtung-lehnen: „Wenn sich eineR an einen Waggon anlehnt, dann bewegt das den Waggon nicht. Wenn das immer mehr machen, dann kommt er irgendwann plötzlich in Bewegung. Je mehr dann mitschieben, desto schneller nimmt er Fahrt auf. In der Warteposition tut man scheinbar nichts: man kann sich in die richtige Richtung anlehnen und wenn man möchte, sogar noch Zeitung dabei lesen. Schließlich merkt man auch in der entspannten Wartehaltung sofort, wann es los geht. Und dann ist man dabei! Ich habe drei Phasen des gemeinsamen Umbruchs erlebt. Das fühlt sich jedes Mal an, als ob die Gesellschaft schwanger wäre und plötzlich tritt etwas Neues hervor. Seit etwa 2014 habe ich das Gefühl, dass es wieder so weit ist.“
Die Friedensbewegung am Bodensee im Wandel
Der Dialog als neues Element des Internationalen Bodensee Friedenswegs wurde in der Zusammenarbeit von Spurgruppenmitgliedern aus drei Generationen initiiert. Zum ersten Mal seit Jahrzenten liefen auch wieder mehr junge Menschen beim Friedensweg mit. Während sich besonders ältere Friedensengagierte gefragt hatten, wo denn die Jungen bleiben, haben diese z.B. in Vorarlberg in Form von lokalen und nachhaltigen Gemeinwohlinitiativen den Boden für neue Formen von Gemeinschaft mit Natur und Mitmenschen aufbereitet, die von praktisch und lokal verankerten Visionen des Friedens getragen werden. Es handelt sich dabei um eine erstaunliche Vielfalt an autonomen Initiativen, die etwa durch das Netzwerk ‚Wandeltreppe‘ Beziehungen pflegt.
Der Internationale Bodensee Friedensweg ist in den Jahrzehnten seiner ausdauernden Wanderung um den See selbst zum Knotenpunkt für Friedensinitiativen in der Region geworden und befindet sich dabei im Spannungsfeld verschiedenster Friedensverständnisse. Dass heuer über 100 Organisationen als Miteinladende die Veranstaltung unterstützt haben und rund 1100 Menschen mitgelaufen sind zeigt, wie erfolgreich die Bemühungen um das Anlehnen an einen gemeinsamen ‚Waggon’ in diesem Spannungsfeld sind. Es bleibt zu wünschen, dass die Zusammenarbeit zwischen jungen Kräften des Aufbruchs in Richtung der lokalen, gelebten und ganzheitlichen Friedenskulturen und den bewährten auf politischen Einfluss zielenden Kampagnen und Demonstrationen weiterhin gemeinsame Synergien erfahren. Sowie Beziehungen nie frei von Konflikten sind, so erzeugt auch der Kontakt mit der Vielfalt an Friedensverständnissen Reibung, auch in der Spurgruppe des Friedenswegs. Grundlage dafür, dass die Wärme, die aus der Reibung entsteht auch konstruktiv genutzt werden kann, ist wahrscheinlich eine Haltung, die Michael Striebel gut auf den Punkt bringt, wenn er schreibt „Wir haben heute so viel Information, dass wir alles kritisieren können, auch die besten Ideen. Man sollte nicht etwas nicht machen, nur weil es kleine Bedenken dagegen gibt. Die Gewichtung, was klein ist, ist natürlich subjektiv. Jedenfalls müssen wir uns von dem Perfektionismus lösen, dass immer alles okay ist, bevor wir mitmachen, sonst passiert gar nichts.“ Wie wir Vielfalt wertschätzen können und dabei zur Transformation von Konflikten beitragen, damit Neues entstehen kann, darauf verweist auch die dialogische Haltung: Bring dich ein, gerade wenn dein Herz schneller schlägt, und halte auch inne um auf die Weisheit zu hören, die uns auch von der anderen Position entgegengebracht wird.